top of page

Gastmahl in Djanet

Ein gutes Dutzend Frauen, Verwandte, Bekannte und Nachbarinnen sind geladen. Große Ehre: ich auch. Ich setze mich bescheiden gleich an den Eingang, wo ich mein „La bas“ (Wie geht’s?) denn auch immer wieder den neu ankommenden Wal(l)küren in pink, giftgrün und silberglitzernden Gewändern entgegenlache. Weiterhin reagiere ich aber nur mit Lächeln, Achselzucken und Pantomime, wenn ein Wortschwall in Tamashek über mich schwappt. Nach dem Vergewissern, daß ich auch wirklich nichts verstehe, wenden sie sich wieder ihren Alltäglichkeiten zu; sie schnattern kichernd und prustend über dies und das und natürlich über mich. Davon bin ich überzeugt, das spürt man. Ich vertreibe mir die Zeit, ihre beredten Gesten, ihre schwarz glänzenden Haare mit Zöpfen oder Knoten, die unter dem rutschenden „afar“ (großes schwarzes oder auch buntglitzerndes besticktes Tuch, das über den Kopf getragen den ganzen Körper einhüllt) hervorquellen und vor allem ihre gelöste aufrechte Sitzhaltung zu bewundern, die mir mit meinen europäischen Beinen in ihrer Verschränkung und meinem schreibtischverkorksten Rücken nur Qualen bereitet.

Endlich wird von den Töchtern des Hauses der obligatorische Couscous serviert. Nicht, daß jetzt die zur kurzen Begrüßung erschienene Dame des Hauses an dem Essen teilnimmt, nein - sie verläßt mit „bismillah“ (Dank sei Allah) den Raum und zieht sich bescheiden zu den „niedrigen“ Essern in die Küche zurück. Gruppen von 4-6 Frauen kauern sich um die Blechschüssel, eine rupft das zart gekochte Lammfleisch von den Knochen und wirft es mit Schwung in die Grießkuhlen. Der gemeinsame Wasserkrug aus Emaille macht die Runde, ebenso die einzige Serviette für die Finger, mit denen man zum Abschluß den grünen Salat aufgeklaubt hat.

An diesem Abend ‚rettet' mich ein Anruf aus Europa zu den Männern, die wie üblich in einem anderen Raum speisen. Wenn es mich nicht schon natürlicherweise mehr zu den Männern zieht - wegen der Verständigung auf französisch bestimmt. Es ist so anstrengend, Mode- und Kosmetikfragen nur mit Kichern und Gesten zu klären.

Erlebnisse bei und mit den Tuareg

Angeregt durch Artikel in größeren Zeitungen, geschrieben von den wenigen Touristen, die sich zur Zeit (1995-1999) in die südalgerische Sahara wagen, die meistens aber nur von den traumhaften Nächten unterm Sternhimmel und der himmlischen Ruhe schwärmen und natürlich auch über die furchtbaren politischen Zustände berichten, möchte ich als eine dieser Mutigen etwas mehr von den Menschen, den Tuareg und ihrem Leben erzählen.

Durch Mangel an Benzin, Auto oder Fahrer war ich mehrmals gezwungen, mich auf meinen Einzelreisen mit der Oase Djanet, ihren Bewohnern, ihren Örtlichkeiten und ihren Gepflogenheiten auseinanderzusetzen, aber auch in der glücklichen Lage, Gastfreundschaft, die höchste der Tugenden dieses ehemaligen Nomadenvolkes, und ihre Festlichkeiten zu erleben.

Private Führung von Abdullah

Zwecks Körperertüchtigung lassen wir (zwei Touristinnen) uns einen einheimischen Führer besorgen, der uns in der Mittagshitze am tiefblauen Wasser des Gueltas entlang in die Berge führt. Wir haben solange mit oh’s und ah’s diese natürlichen Schwimmbäder bestaunt, die mitten in der Wüste von blühenden Oleandern, Palmen und Schilf umrandet zum Baden einladen, bis Abdullah uns gnädig erlaubt hat, ins kühlende Naß zu gleiten. Er macht solange Siesta. Sagt er: Sicher beobachtet er dabei unter den fast geschlossenen Augenlidern im Sehschlitz seines Chechs die nassen, an den Körperformen klebenden Kleider seiner „Ikufar“. Wohl ein bleibendes Erlebnis für Wochen oder Monate! „Ikufar ighifghifen deren aghilmam“ (Die ‚Touristen', eigentlich die Ungläubigen, die Fremden, schwimmen im Guelta). Ein Satz in Tamashek, dessen Rhythmus mir zwei Stunden lang beim Bergsteigen behilflich ist.

 

Auf einer Rundreise in den Zelten der Nomaden

Seltener abendlicher Regen. Weil wir (drei Touristen, drei Tuareg) unerwartet, aber herzlich willkommen sind, findet das extra für uns bereitete Essen wegen der langen Zubereitungszeit in größter Dunkelheit statt. Ein im Vorzelt flackerndes Feuer beleuchtet zwar lebhaft die interessiert aus dem Chechschlitz blitzenden Augen des Zeltherrn und seiner männlichen Verwandtschaft, aber überhaupt nicht das frisch geschlachtete Zickleinragout und im Sand gebackenes „taghella“ (Grießmehlbrot), das zerbröckelt und mit Zickleinfett übergossen wurde. Die Touristen stochern im unbekannten, leicht sandigen Essen herum, setzen die Schüsseln auf der Suche nach den identifizierbarsten Stücken von Zeit zu Zeit dem Schein der Taschenlampe aus, in der Hoffnung, nicht als unhöflich und schnieke zu gelten.

Vor dem Zelt ein parkendes Kamel. Wie ist es ohne Telefon möglich, daß immer neu ankommende Nomaden die deutschen Touristen bestaunen kommen? Nach der herzlichen Begrüßung wird sich aber herzlich wenig um uns gekümmert. Wir bleiben uns selbst überlassen, sprachlos wie wir sind. „Kein Mensch ruft mich an, kein Schwein interessiert sich für mich“, singen wir und bemitleiden uns lachend, weil uns weitere Neuankömmlinge, die sich vor dem Regen ins Zelt flüchten, immer weiter in die tropfnassen Zelt-Ecken treiben.

Größte Ehre wird uns am nächsten Tag zuteil, als wir uns mit Gastgeschenken verabschieden. Wir werden in das Frauenzelt geführt. Großmutter, Mutter und Kind, alle wiederum mit Kindern auf dem Schoß, barpopoig, triefnäsig und augenkrank, bieten uns sauer gewordene, mit Wasser verdünnte Ziegenmilch an. Gut erzogen nippen wir am sandigen Topf und sind erstaunt über die erfrischende Wirkung. Währenddessen lassen wir vorsichtig die Blicke schweifen. Was könnten wir hier alles von unseren aussortierten, auf dem Speicher sich häufenden Dingen loswerden. Es ist nicht zu glauben, mit welchen Fetzen, mit zerbeultem Emaille- und Blechgeschirr und notdürftig geflicktem Pappkartonzeltdach hier gelebt wird. Aber sie scheinen nichts von Bedürfnissen zu wissen und wirken zufrieden und glücklich, beschenkt von der Anwesenheit dreier Besucher.

Hamam

 

Sieben gemischtgeschlechtliche Touristen, verstaubt, strähnhaarig und versandet werden zwecks Säuberung am Hamam abgesetzt. Leider ist Frauentag, so dass die drei Touristen mit dem unpassenden Geschlecht wieder abziehen müssen. Wir vier Frauen wagen uns vorsichtig in den mit vielen Vorhängen gegen Ausseneinblicke abgesicherten Vorraum, wo wir neugierig von wenig bekleideten Frauen und Mädchen beäugt werden. Wir werden mit einer Minipackung Shampoo und einem Handtuch ausgestattet. Im Ruheraum ziehen wir uns weisungsgemäß bis auf Slip und BH aus und folgen auf geliehenen Plastiksandalen einer kleinen rundlichen Frau mit knallrosa BH der 50er Jahre in den Baderaum, in dem neben feuchter Hitze ein ohrenbetäubender Lärm herrscht. Wir kämpfen uns durch den Dunst und machen dann wohl einen eher bemitleidenswerten

Eindruck neben der unglaublichen Menge weiblicher Körper jeglichen Alters und Ausmasses, weil wir Weisshäutigen dicht aneinandergedrängt unter der triefenden Raumdecke stehen und verunsichert auf einen freien Platz warten. An den Wänden entlang laufen Rohre mit heißem und kaltem Wasser. An den entsprechenden Hähnen sitzen die Targias aller Bronzeabstufungen vor Wasserschüsseln, shamponieren, waschen und rasieren (!) sich von Kopf bis Fuß. Das üppige Haupthaar lassen sie natürlich dran. Das wird von der spitzbusigen Nachbarin mit dem löchrigen Slip, der früher wohl mal aus Spitze war, ausgiebig gebürstet und dann mit einer cremigen Masse einbalsamiert zum Zopf geflochten. Vor der anderen Wand quillt das nackte (!) Hinterteil einer ziemlich hellhäutigen Mutter von zwei knopfäugigen Mischlingskindern über einen Plastikschemel, der jeden Augenblick zu zerbersten droht, da er seine Beine schon zur Seite spreizt wie ein Kamel beim . . .
Alle sind hingebungsvoll mit ihrer Reinigung oder der ihrer Kinder beschäftigt, bei denen die Seife im Auge schrilles Geschrei bewirkt. Übertroffen wird das Gezeter noch vom Geschnatter der Mütter und dem Gekicher der heranwachsenden Schönheiten und vervielfältigt von den schwitzenden Kachelwänden.

Endlich ist auch uns ein Platz vergönnt. So genierlich wie es ist, wir müssen uns unserer kleinen Stoffteile entledigen, denn Wechselwäsche ist mit Männern und Auto entschwunden. Dann überschütten wir uns mit viel Wasser, kneifen fest die Augen zu, damit uns niemand sieht und beginnen mit der Entsandung. Kleine Jungs staunen uns ins Gesicht und freundliche junge Mädchen mit knospenden Brüsten helfen uns mit Seife und Shampoo aus. Wer weiß, welchen Gesprächsstoff wir liefern mit unserer Andersartigkeit? Nachdem notgedrungen unsere Verschönerung etwas simpel ausfällt, warten wir dann draußen in unseren alten versandeten Klamotten, aber innendrin wunderschön sauber und um eine Erfahrung reicher auf unsere Abholer. 


 

„Gefangenschaft“ auf dem Dach des Hauses

Während die Männer die Vorbereitungen für unseren „Circuit“ treffen, wie Autos in Kleinteile zerlegen und wieder zusammenbauen, Benzin ergattern, Säcke voll Karotten, Kartoffeln, Zwiebeln, Lauch und rote Beeten einkaufen und Unmengen von Wasserkanistern füllen, vertreibe ich mir die Wartezeit. Spiele und erste Tamashek-Wörter bringen mir die Kinder bei. Ich lerne Körperteile und wichtige Umgangsfloskeln durch Pantomine und vor allem durch Gekicher. Die Kinder sind zum Knuddeln mit ihren riesigen schwarzen Augen, den Haartrachten mit allen Zopfvariationen und in meinen Augen abenteuerlichen „Kleiderkompositionen“.

 

Dann entsteht Sehnsucht, selbst mal auf den Markt zu gehen. Geht nicht, das macht man nicht - die Männer kaufen ein. Drinnen im Haus steht die Luft und flimmert stundenlang der Fernseher. Man hat Schüsseln auf dem Dach - alle paar Sekunden zuckt satellitenempfangsbedingt ein anderes Programm über den Bildschirm - für mich egal, ich verstehe von arabischem, manchmal französischem Geplärre doch nichts, starre aber weiter hin. Es würde auf Unverständnis stoßen, wenn ich mich statt dessen mit aufgekrempelten Hosen und Ärmeln der Mittagssonne auf dem Flachdach aussetzte, und das natürlich nur, wenn kein Mann weit und breit zu sehen ist. So etwas gehört sich nicht, auch nicht für eine Touristin.

 

Aber für mich als europäische Frau, emanzipiert und FKK-geneigt, ist es im tiefsten Innern doch eigentlich wunderbar, wenn hier schon der Anblick eines Knöchels oder der Hauch eines Busenansatzes bei den Männern erotische Empfindungen nach sich zieht. Eine unverschleierte, aber bis auf Füße, Hände und Gesicht wohl bekleidete verheiratete Targia sollte einem ihr unbekannten Mann die Hand nur durch ein Stück Stoff zur Begrüßung reichen, weil er sonst die Zartheit ihrer Haut schätzen lernen könnte. Das gleiche gilt für ihre Stimme. Die behütete Hüterin des Hauses verstellt sie, wenn Sie nach dem Begehren des Klopfers an der Tür fragt. So albern und altmodisch ich diese Sitten finde, es entsteht doch ein gewisser Neid, weil hier bei uns wohl kein Mann mehr auf solch zarte Nuancen anspricht.

Barbara Schaper-Oeser, 1995-2007

bottom of page